Warum
Josef Maria Auchentaller?
von Andreas Maleta

Wenn jemand so lange wie er bereits von der Kunstszene verschwunden ist, wird das vielleicht auch seinen Grund haben - könnte man meinen.
Das stimmt auch - nur die Ursachen liegen etwas anders als oberflächlich hingesagt.
Oft wurde gefragt, wie ich denn gerade auf Auchentaller gekommen bin? Schließlich liegt mein Fach doch eher im Journalismus und beim Dokumentarfilm, mit Schwerpunkt auf Indien. Ist das nicht ein weiter Weg zurück, in meine Geburtsstadt Wien und dann noch «in die Kaiserzeit» um 1900? Eine berechtigte Frage, die aber leicht zu beantworten ist: «Erst war es die journalistische Neugier, dann entstand die Faszination über die Person Auchentaller, besonders wegen seiner ungeahnten Vernetzung in der damaligen Zeit und schließlich der erstaunliche Gegenwartsbezug, da ich plötzlich immer wieder neue Werke des Künstlers entdeckte.»
Das ist aber nicht alles!
Stacks Image 953
Ich bin mit Auchentaller aufgewachsen! - Nicht mit der Person, aber mit ein paar Bildern an den Wänden in meinem Elternhaus. Allerdings war außer seinem Namen nichts über die Hintergründe des Künstlers, seine Bedeutung für die Secession oder ähnliches bekannt. Sie verstaubten in dunklen Ecken und wurden nicht beachtet. Man kannte das Hotel der Auchentallers in Grado und ihre sagenumwobene Insel Morgo in der Lagune vor Grado, meine Mutter hat beides in ihrer Jugend sogar noch besucht.

Hier endet der mir flüchtig bekannte Auchentaller, und es beginnt der völlig unbekannte, eigentlich vergessene Auchentaller.
Stacks Image 956
Josef Maria wuchs in einer Seidenhändlerfamilie auf. Der Umgang mit wertvollen Stoffen und edlem Design war ihm also in die Wiege gelegt. Der Vater selbst war als Südtiroler aus Trient nach Wien gezogen, beide Eltern waren also zweisprachig: Italienisch und Deutsch. Nicht unüblich in der multikulturellen Metropole Wien, aber womöglich für sein späteres Grado Abenteuer nicht unerheblich. Wer weiß, welche Sprache die Auchentallers zu Hause gesprochen haben, die faszinierende, bunte Welt Italiens war jedenfalls ganz nahe.

Viele Seidenstoffe wurden damals in Norditalien von kleinen Familienbetrieben hergestellt, Machart und traditionelle Designs von Generation zu Generation weitergereicht. Das Geld machten die Händler, nicht die Erzeuger. Eine Lebensweisheit, die Auchentallers Vater bei dem frühreifen Wunsch seines Sohnes, Maler, ja Künstler zu werden, sicherlich nicht unbeachtet ließ. Kein Wunder also, dass er auf ein Studium an der Technischen Hochschule bestand. Architekten brauchte man in der Kaiserstadt, Künstler waren eher seltsame Geschöpfe, kein Brotberuf, den sich ein erfolgreicher Immigrant seinem Sohn wünschen würde.

Dem väterlichem Diktat folgend, studierte Auchentaller eher recht und schlecht an der Hochschule für Technik in Wien, wechselte aber im Geheimen 1885 an die Akademie der Bildenden Künste. Preise und Auszeichnungen ließen nicht lange auf sich warten.

Doch Wien war ihm zu eng. In Deutschland hatte sich eine progressive Kunstrichtung formiert, viele Jahre später als «Art Nouveau» oder «Jugendstil» bezeichnet: erst in Berlin, dann in München. Auchentaller zog nach Schwabing, einer der wenigen «Österreicher» (eigentlich: Bürger der Habsburgermonarchie) die zur Zeit der Gründung der «Münchner Secession» 1892 durch Karl Stuck vor Ort waren.

In den wenigen Quellen über Auchentallers Zeit in München wird er oft als Professor an der dortigen Akademie beschrieben, was nicht stimmt. Auchentaller war Student wie viele andere (post-graduate würden wir heute sagen) und sog den Geist der neuen Zeit in sich ein. Malerei, Ausstellungen, Hausmusik, Tarockpartien und Humor prägten seine Welt.

In München wurde Auchentaller zu einer Art Pionier. Als junger Künstler gewann er bei einem Wettbewerb der Zeitschrift «Jugend» einen Preis und sein Titelblatt wurde noch im Juni 1896 veröffentlicht. Anstatt auf seinem großen Erfolg aufzubauen, bricht Auchentaller seinen Münchenaufenthalt abrupt ab und reist noch im Sommer 1896 für weitere Kunststudien nach Italien.
Stacks Image 959
Stacks Image 962
Doch Auchentallers Stern war im Steigen begriffen. 1897 zurück in Wien, fand er Anschluss an die Secession, wurde Organisator an Stelle von Josef Maria Olbrich und Redaktionsverantwortlicher für das neugestaltete ( kleiner und feiner) gewordene «Ver Sacrum». Viele Eintragungen in den Tagebüchern von Alma Schindler (spätere Mahler-Werfel) lassen auf die wichtige Stellung Auchentallers in der Secessionsbewegung schließen: er gestaltete eigene Räume und war bei den wichtigsten Ausstellungen mit dabei. Wie ist es dann möglich, dass ein damals so bedeutender Mann schlicht vergessen wurde und in den Annalen der Kunstgeschichte kaum auftaucht?

Grado und die Schwere der Lieblichkeit!

Auchentaller war ein Jugendstilmaler, «Jugendstil pur», wie das Leopold Museum seine Ausstellung im Sommer 2009 treffend betitelte. Die heute so oft gesuchte «Moderne» blieb ihm, den nach Grado emigrierten Künstler, teilweise verschlossen. Nicht, dass es keine Ansätze zur «Moderne» im Werk Auchentallers gegeben hätte, ihm fehlte aber nach dem Ersten Weltkrieg der Kontakt zur veränderten Kunstszene. Der Zusammenbruch der Monarchie 1918 bedeutete nicht nur das Ende einer gewohnten Welt, sondern auch das Verschwinden der Koordinaten in der Kunst, die Auchentaller Zeit seines Lebens kannte ( er war beim Zusammenbruch bereits 53 Jahre alt und seine wichtigsten Künstlerkollegen: Otto Wagner, Gustav Klimt, Egon Schiele und Koloman Moser waren allesamt 1918 gestorben). Der Jugendstil hatte ausgedient. In der Architektur entwickelte sich die Formensprache des Bauhaus, die Malerei wurde expressionistisch und kubistisch.

Die Kunst Auchentallers, «entstellt» nicht, sondern «stellt dar» – der Raum wird als Tiefe empfunden, indem sich Wesentliches und Tiefgründiges entfalten kann. Unbewegtes wird bewegt – Bewegtes wird leicht. Die Dimension des Unsichtbaren erhält eine Form. Ohne diese Leichtigkeit wäre die Proportionalität zwischen Form, Farbe, Licht und Bewegung nicht gegeben. Jugendstil pur!

Eine solche «Sophistication» (Verfeinerung) empfinden wir heute schnell mal als oberflächliche Lieblichkeit, ohne die dahinter stehende Schwere zu erkennen. Wir sind plakative Dramen gewohnt - in der Welt, in den Medien und in der Kunst.

Das Drama der Vernichtung durch den Krieg, das Leiden danach, die Auflösung des Gewohnten erlebte Auchentaller direkt und unmittelbar. Für eine Reflexion in der Kunst blieb keine Zeit, dafür waren die seelischen Wunden zu tief.

1914 (innerhalb von 7 Monaten): Tod der Mutter, Selbstmord der Tochter, Ausbruch des Krieges und Flucht aus Grado unter Hinterlassung eines bis dahin florierenden Hotels.
1919: Rückkehr in ein verwahrlostes Gebäude.
Stacks Image 938
Stacks Image 940
Stacks Image 942
Stacks Image 944
Die Kunstgeschichte hatte seinen verfrühten Abgang nach Grado – 1904 – mit dem langsamen Verschwinden seines Namens quittiert. Und als 1922 einige seiner Hauptwerke für eine geplante Ausstellung in Argentinien bei der Überfuhr verloren gingen, gab er sich selbst als Künstler auf, malte und zeichnete aber noch bis zu seinem Tod 1949.

Schweigsam verblieb selbst seine familiäre Umwelt, wenig wurde über die Zeit vor 1914 gesprochen, als hätte es Auchentaller um 1900 nie gegeben. Die Lieblichkeit war der Bitternis gewichen.

Seine Nachkommen verkauften das Hotel Fortino wie die Insel Morgo und zogen zurück in die Berge nach Südtirol.

Erst als Raffaella Sgubin, die rührige Leiterin des Museums in Gorizia, auf die Kunsthistorikerin Dr. Vera Vogelsberger traf (Verfasserin der einzigen Doktorarbeit über J.M. Auchentaller, 1985) und die erste Ausstellung 2005 über den Beitrag Italiens zum Jugendstil («Belle Époque Imperiale») in ihrem Museum (mit einigen Werken Auchentallers) organisierte, war der Bann gebrochen.

Im Herbst 2007, kurz vor ihrem frühen Tod, kam Vera Vogelsberger auch noch zu mir, um die geplante, großangelegte Retrospektive über Josef Maria Auchentaller zu besprechen. Unabhängig davon hatte ich bereits viel Vorarbeit geleistet und konnte meine eigene Dokumentation über das berühmte Beethovenzimmer in der Villa Scheid, über die Sammlung: «Viktor und Martha Thonet» und weitere, noch unbekannte Auchentaller Bilder, vorlegen. In der Folge entstand, in Zusammenarbeit mit dem Leopold Museum, die umfangreichste Ausstellung über Josef Maria Auchentaller, die es je gegeben hat.

Auchentaller ist aufgetaucht!
Stacks Image 948